Wie viele Windräder brauchen wir für die Energiewende?

Die Zukunft gehört Wind- und Solarstrom, doch im ersten Quartal 2021 erzeugten erneuerbare Energieträger 40 Prozent der Elektrizität in Deutschland. Dabei werden Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen in den kommenden Jahren den Strombedarf steigen lassen. Schon jetzt ist klar: Soll die Energiewende in der nächsten Dekade gelingen, muss der Windkraftausbau beschleunigt werden. Doch um wie viel? Ein Versuch, die benötigte Leistung zu berechnen.

38 PROZENT MEHR STROM BIS 2030

  • Der Bruttostromverbrauch (inklusive dem Strom, der beim Transport verloren geht) lag in Deutschland im Jahr 2020 bei 544,9 Terawattstunden (1 TWh=109 oder eine Milliarde kWh).
  • Um die Klimaparameter zu erfüllen, geht die Bundesregierung von bis zu 14 Millionen Elektrofahrzeugen bis 2030 aus. Bei einer jährlichen durchschnittlichen Laufleistung von 15.000 km pro Fahrzeug und einem durchschnittlichen Stromverbrauch von 14 kWh/100 km benötigt Deutschland zusätzlich 29,4 TWh pro Jahr, um den Strombedarf von E-Autos zu decken.
  • Der ThinkTank Agora Energiewende geht in einer Studie von 8 Millionen benötigten Wärmepumpen bis 2030 aus, um die Klimaziele zu erreichen. Bei einem jährlichen Verbrauch von zirka 6.000 kWh pro Wärmepumpe (wie diese Rechnung zeigt) kommen so zusätzliche 48 TWh zusammen.
  • Laut einer Studie von Strategy& wird in Deutschland bis 2030 die Nachfrage nach „grünem“ Wasserstoff (mit erneuerbaren Energien erzeugten Wasserstoff) auf 3,3 Megatonnen steigen. Da selbst ein sehr effizienter Elektrolyseur derzeit 39 kWh/kg Wasserstoff verbraucht, würde man dafür nochmal 128 TWh Strom brauchen.
  • Der gesamte Stromverbrauch im Jahr 2030 beträgt nach dieser hypotetischen Rechnung 751 TWh. Das übertrifft selbst die Prognose der Bundesregierung von 645-665 TWh für 2030 um 13 Prozent. Gegenüber 2020 wäre es eine Steigerung des Stromverbrauchs um 38 Prozent.
STROMVERBRAUCH 2020544,9 TWh*
VORAUSSICHTLICHER STROMBEDARF VON E-AUTOS 203029,4 TWh
VORAUSSICHTLICHER STROMBEDARF VON WÄRMEPUMPEN 203048 TWh
VORAUSSICHTLICHER STROMBEDARF FÜR GRÜNEN WASSERSTOFF 2030128,7 TWh
GESAMTBEDARF 2030751 TWh
* Statista

engpässe im Winter? nicht mit genug reserve

Die Abschätzung im vorherigen Abschnitt berücksichtigt nicht, dass der Stromverbrauch über das Jahr keineswegs konstant ist. So betrug laut Bundesnetzagentur die Netzlast im Januar 2021 satte 45.929 GWh, im Juni 2021 dagegen nur 39.344 GWh. Zum einen ist das Licht in der kalten Jahreszeit länger an, zum anderen drückt die Urlaubszeit im Sommer den Bedarf, da unter anderem Produktionsbetriebe schließen.

Heizen viele Haushalte künftig mit Wärmepumpen, dürfte sich dieser Effekt noch verstärken. Luft-Wasser-Wärmepumpen, die am häufigsten installierte Wärmepumpenart, verbrauchen umso mehr Strom, je niedriger die Außentemperatur ist.

Die Daten aus einem Monitoring-Projekt des Fraunhofer-Instituts verdeutlichen diesen Effekt. Demnach betrug der Verbrauch der untersuchten Wärmepumpe allein im Januar satte 18 Prozent des Gesamtjahresverbrauchs. Berücksichtigt man diesen Effekt, würden wir im Januar 2030 67,7 Terawattstunden Strom und damit 47 Prozent mehr als im Januar 2021 an Strom verbrauchen.

VERBRAUCH JANUAR 202145,9 TWh
VERBRAUCH E-FAHRZEUGE JANUAR 20302,45 TWh*
VERBRAUCH WÄRMEPUMPEN JANUAR 20308,64 TWh
BENÖTIGTER STROM FÜR GRÜNEN WASSERSTOFF JANUAR 203010,7 TWh*
GESAMTBEDARF JANUAR 203067,7 TWh
* Als Vereinfachung wird davon ausgegangen, dass sowohl der Verbrauch von E-Fahrzeugen als auch von Elektrolyseuren über das Jahr konstant bleibt.
Wärmepumpen benötigen in den Wintermonaten Strom, um Wärme bereitzustellen. ©HarmvdB/Pixabay.com

SO VIELE WINDKRAFTANLAGEN FEHLEN

Nicht nur die Grünen möchten bereits 2030 Kohlekraftwerke komplett stilllegen. Auch die Agora Energiewende geht davon aus, dass das neue Klimaschutzgesetz und der EU-weite Anstieg des Preises für CO2-Zertifikate dazu führen wird, dass Kohlekraftwerke schon vor 2038 vom Netz genommen werden.

Schaut man auf den abgeschätzten Strombedarf im Januar 2030, stellt sich die Frage, wie hoch die Kapazitäten sein müssen, um ihn theoretisch ausschließlich mit erneuerbaren Energien zu decken. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass PV-Anlagen in den dunklen Wintermonaten einen geringen Beitrag zur Stromerzeugung leisten. Im Januar 2021 schwankte beispielsweise ihr Anteil an der Stromerzeugung je nach Kalendarwoche zwischen 0,9 und 1,9 Prozent. **

Zwar fordert der Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft (BDEW), bis 2030 die installierte PV-Leistung auf 150 GW zu verdreifachen. Allerdings würde selbst damit aufgrund des höheren Strombedarfs der Anteil des PV-Stroms im Januar maximal 5 Prozent betragen.

Biomasse zur Stromerzeugung wird dagegen nach Einschätzungen des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie nur als flexible Option mit wenigen Volllaststunden eingesetzt werden, da ihr Potential begrenzt ist. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass ihr aktueller Anteil an der Stromerzeugung von zirka 8 Prozent** steigen wird.

Mit diesen Eckdaten müssten Windkraftanlagen in unserem Beispielsszenario im Januar 2030 87 Prozent des Energiebedarfs decken. Dafür bräuchten wir zusätzliche 224.761 MW an Leistung und müssten bis 2030 jährlich um die 28.000 MW neu installieren. Das ist mehr als fünfmal so viel wie im unter diesem Aspekt erfolgreichsten Jahr 2017, als der Zubau 5.333 MW betrug. ***

STROMERZEUGUNG VON WINDKRAFTANLAGEN IM JANUAR 202111,7 TWh*
STROMBEDARF IM JANUAR 203067,7 TWh
VON WINDKRAFTANLAGEN BENÖTIGTE ENERGIE (GESAMTBEDARF ABZÜGLICH 13 PROZENT BIOMASSE/SOLARANLAGEN)58,8 TWh
VERHÄLTNIS5,03
INSTALLIERTE LEISTUNG 202155.772 MW
ZUSÄTZLICHE BENÖTIGTE LEISTUNG BIS 2030224.761 MW
ZU INSTALLIERENDE LEISTUNG 2022-2029 PRO JAHR28.095 MW

*Quelle: BDEW

** Quelle: energy-charts.info

*** Quelle: Bundesverband WindEnergie, „Installierte Windenergieleistung in Deutschland

warum StockT der Aufbau?

Die letzten vier Jahre 2018-2021 waren alles anderes als erfolgreich wenn es darum ging, neue Windkraftanlagen zu installieren***. 2019 wurde mit 325 MW der geringste Zubau seit 2000 erreicht (siehe Bild unten).

Laut dem Bundesverband WindEnergie trägt die Politik die Schuld am Stillstand. Zum einen würden die Bundesländer nicht wie vereinbart 2 Prozent Fläche für die Windenergie zur Verfügung stellen. Zum anderen würden lange Genehmigungsverfahren und Klagen von Bürgerinitiativen die Umsetzung von Projekten bremsen.

©WindGuard GmbH

sind offshore-Windkraftanlagen die LÖSUNG?

2021 beträgt die Leistung der Offshore-Anlagen in Deutschland 7.771 MW. In der Nordsee befinden sich mit fast 6.700 MW die meisten von ihnen. Damit machen sie gerade mal 14 Prozent der Gesamtleistung der installierten Windturbinen aus. Das könnte sich allerdings in den nächsten Jahren ändern.

Zum einen kämpfen die Offshore-Windparks weniger mit Akzeptanzproblemen als Onshore-Anlagen, da sie mehrere Kilometer von der Küste entfernt liegen. Zum anderen sorgen auch in windarmen Jahren wie beispielsweise das erste Halbjahr 2021 für eher konstante Erträge als Onshore-Anlagen. Außerdem lassen sich Anlagen mit einer Leistung über 10 MW eher als am Land realisieren, weil der Windertrag höher ist.

Die Bundesregierung hat das Potential der Offshore-Windkraft längst entdeckt. Bis 2030 sollten dank des Windenergie-auf-See-Gesetzes 20 GW (20.000 MW) an Leistung in der Nord- und Ostsee entstehen. Die EU-Kommission geht von einem Potential von 450 GW in den europäischen Meeren aus. Obwohl in den letzten Jahren der Ausbau an Kapazitäten genauso wie bei Onshore-Anlagen stockte, ist es also davon auszgehen, dass sich die Lage rasch ändern wird. Davon geht auch der niederländische Windparkbetreiber TenneT aus, der vor allem in der Nordsee zahlreiche Projekte plant.

Retten Offshore-Windparks die Energiewende? © Florian Pircher/pixabay.com

Lassen sich die KLimaziele auch mit wenigen Windrädern erreichen?

Selbst wenn der Ausbau der benötigten Leistung bis 2030 nicht gelingt, bedeutet nicht, dass Deutschland seine Klimaziele verfehlen wird. Anders als bei Windkraftanlagen wuchs bei Photovoltaikanlagen die installierte Leistung auch in den letzten Jahren stetig und konstant um zirka 4.000 MW pro Jahr.*

Anders als Windturbinen kämpfen Solaranlagen kaum mit Akzeptanzproblemen und lassen sich dezentral und ohne schwerwiegende Umweltauswirkungen installieren. Zudem stellen steigende Strompreise sowohl für Private als für Unternehmen einen Anreiz dar, PV-Anlagen zu installieren, um den Strom selbst zu verbrauchen.

Dennoch bleibt das Problem der saisonal schwankenden Leistung von Solaranlagen. Hier sind fundierte Konzepte nötig, um den Überschuss an Solarstrom im Sommer wirtschaftlich zu speichern und im Winter zu verbrauchen. Insbesondere Wasserstoff eignet sich als Speichermedium hervorragend, allerdings liegt der Gesamtwirkungsgrad des Verfahrens Strom –> Wasserstoff –> Brennstoffzelle –> Strom laut einer Studie des Fraunhofer Instituts bei gerade mal 24-35 Prozent.

Steigt die Effizienz des Verfahrens, steht einem Kreislauf aus Solarstrom, Windenergie und Wasserstoff nichts im Wege, der auch den erhöhten Strombedarf durchaus decken kann. Nicht nur im Sommer, sonder auch bei Windstürmen ließe sich die erzeugte und gespeicherte Energie später verwenden.

fazit

Auch ausgehend von einem kompletten Verzicht auf fossile Kraftwerke kann die Energiewende gelingen. Allerdings muss der Ausbau der installierten Leistung deutlich schneller vorangehen. Parallel ist es erforderlich, industrielle Anlagen zur Erzeugung von grünem Wasserstoff zu fördern, um die Volatilität von Windturbinen und Solaranlagen zu kompensieren.

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Digital Twins für Windturbinen: Wie KI die Simulation verbessert

Künstliche Intelligenz ist zweifellos ein Buzzword der letzten Jahre. Deep Learning Algorithmen ermöglichen die Modellierung komplexer Realitäten im industriellen Umfeld und reduzieren die Notwendigkeit für aufwändige Testversuche. Gerade an schwer erreichbaren Orten wie Windturbinen ist das wichtig.

der motor der energiewende

Windturbinen stellen zusammen mit Solaranlagen die Säulen der Energiewende dar. 67,2 Terawattstunden an Strom haben sie im ersten Halbjahr 2019 ins deutsche Netz gespeist. Ende 2018 waren Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 52,931 Megawatt installiert. Wegen des geplanten Kohleausstiegs wird die Zahl künftig steigen.

Moderne Windturbinen liefern eine Leistung von bis zu 10 Megawatt und sind nicht selten höher als 100 Meter. Der Simulation kommt eine besondere Bedeutung zu. Nicht nur ist es wichtig zu wissen, ob die Blätter, das Getriebe und der Turm die Belastungen im Betrieb und bei extremen Ereignissen standhalten. Ständig optimieren Ingenieure das Design, um den Ertrag und damit die Wirtschaftlichkeit zu steigern. Nur so bleibt Windstrom gegenüber fossilen Brennstoffen konkurrenzfähig.

die grenzen der simulation

Doch wie testen sie das Verhalten eines solch komplexen Systems? Tests mit Prototypen im Windkanal sind teuer und zeitaufwändig. Deswegen nutzen sie sogenannte Multibody Simulationen. Die Software bildet die Elemente der Windturbine in einem vereinfachten Modell ab. Sowohl Ermüdungslasten aus dem Betrieb als auch extreme Belastungen wie Eis an den Blättern und Orkane lassen sich so näherungsweise am Rechner nachstellen.

Doch die Simulation hat Grenzen. Immer wieder versagen Teile, obwohl sie es laut Berechnungen nicht sollten. Warum ist das so? Egal wie präzise die Turbine mithilfe der Finiten-Elementen-Methode modelliert wird, es werden Vereinfachungen angenommen.

virtuelle zwillinge erstellen

Digital Twins verfolgen einen anderen Ansatz. Sie nutzen Messdaten aus reellen Maschinen, die mithilfe von Deep Learning Algorithmen verarbeitet werden. Die virtuellen Zwillinge können so das Biegemoment an der Rotorblattwurzel oder am Turmfuß anhand von erstellten Statistiken sicher voraussagen.

Die Plattform GE Predix stellt ein Beispiel für eine IoT-Software dar, die im industriellen Bereich Big Data auswertet und Voraussagen ermöglicht. Die GE Turbineningenieure nutzen sie zum Beispiel, um die Temperaturentwicklung im Motor als Funktion des erzeugten Stroms vorauszusagen. Das erspart die Platzierung von Temperatursensoren an schwer erreichbaren Stellen.

kurzfristige Ertragsvoraussagen

Ein weiteres Anwendungsfeld stellen Ertragsvohersagen dar. Konventionelle Prognosen nutzen die Windverteilung am Standort aus einem Windatlas, um die Windverhältnisse zu schätzen. Da die Windleistung jedoch von Jahr zu Jahr mitunter stark schwankt, sind sie oft ungenau. An der Präzision der Voraussagen hängt jedoch die Wirtschaftlichkeit ganzer Windparks ab.

Der Internetriese Google und seine Tochterfirma DeepMind haben jetzt ein Konzept entwickelt, um Machine Learning Algorithmen mit Wettervorhersagen und den zugehörigen Erträgen zu trainieren. Damit soll die Software in der Lage sein, anhand des Wetterberichts eine zuverlässige Voraussage der kommenden drei Tage zu liefern.

überflüssige wartungen eliminieren

Der Begriff „Predictive Maintenance“ fällt immer im Zusammenhang mit Big Data und künstlicher Intelligenz. Der konventionelle Ansatz für die Wartung lautet, dass Inspektionen nach festgeplanten, regelmäßigen Intervallen stattfinden. Sie basieren auf allgemeine Erfahrungswerte. Sie berücksichtigen jedoch nicht, ob die eine Windturbine gerade keine Wartung benötigt oder im Gegenteil Teile früher als geplant ausgetauscht werden müssen.

Gerade bei Windkraftanlagen sind Wartung schwierig und teuer. Nicht nur Offshore Anlagen im Meer sind das Problem. Auch Onshore Windturbinen befinden sich oft an fernen und schwer erreichbaren Orten. Predictive Maintenance nutzt ein anderes Prinzip. Sensoren messen Temperatur, Druck und andere Kräfte an verschiedenen Stellen. Big Data Algorithmen werten sie aus und rechnen die Wahrscheinlichkeit für einen Ausfall in den nächsten Wochen.

So erhält jede Maschine ein eigenes Profil. Die Windparkbetreiber sparen kostspielige, nicht notwendige Einsätze. Auf der anderen Seite lassen sich Gierfehler, sowie defekte Getriebe und Lager zuverlässig vorhersagen, bevor das Versagen auftritt

bessere materialien und eisvorhersagen : Die Zukunft von KI

Weltweit forschen Wissenschaftler weiter an mögliche Use Cases von KI, um die Windenergie effizienter zu machen. Im VTT Forschungsinstitut in Finnland haben sie ein Modell entwickelt, um die ideale Materialkombination zu finden, die resistent gegenüber Abnutzung ist.

Amerikanischen und chinesischen Forschern gelang dagegen, ein System namens WaveletFCNN zu erfinden, die Muster in Sensordaten entdeckt und so vereiste Blätter identifiziert. Goldwind, einer der größten chinesischen Windturbinenhersteller, nutzt das Programm bereits und berichtet von einer Zuverlässigkeit von 81 Prozent.

Es bleibt abzuwarten, was die Zukunft bringt. Sicher ist jedoch, dass die Verbindung von Künstlicher Intelligenz und alternativen Energien vielversprechend bleibt.